In den letzten Wochen hat sich in mir einiges bewegt. Einiges habe ich schon verstanden oder ich bin dabei, klarer zu sehen und zu begreifen, wer ich bin. Ich habe mich auf den Weg gemacht und kann erkennen, was schon hinter mir liegt. Mein Leben war gefühlt geprägt von vielen glücklichen Umständen, irgendwie hat sich vieles gefügt, daher kann ich optimistisch sein und mich auf die guten Dinge des Lebens konzentrieren. Ich liebe das Glück: es zu sehen, zu fühlen, zu schmecken, zu hören, zu begreifen. (Wer nicht?) Und ich möchte das teilen. Und mich ganz viel damit beschäftigen und mein Leben weiter danach ausrichten.
Und doch habe ich verstanden, dass es da diese andere Seite gibt, nicht alles ist immer gut oder nicht alles ist so, wie ich es mir wünsche. Manches kann ich ändern, anderes nicht. Das muss ich akzeptieren. Aber vor allem muss ich hinschauen. Das habe ich bisher nicht gern gemacht. Doch vor einigen Monaten fing ich damit an und nun bin ich mittendrin; Stück für Stück blättere ich mich durch mein Leben, meine Verstrickungen, meine Gefühle, mein Verhalten… und decke auf, erkenne – und dabei passiert es: die Leidenschaft.
So klar wie jetzt war mir das noch nie. Dieses Wort. Ja ich sehe, dass dort das Wort Leiden drin steckt, dass es bedeutet „Leiden schafft“. Doch was sollte das für mich heißen? Kann ich denn etwas erschaffen, obwohl ich doch gar nicht so viel leide? Ich liebe es zu schreiben, aber tatsächlich bin ich gehemmt dabei, schreibe keinen meiner Romane zu Ende, arbeite nicht an meinen Gedichten und zeige sie selten mal jemanden. Aber ohne Leiden kein Schaffen oder keine echte Leidenschaft. „Ich bin eben nur so ein Möchte-Gern-Ich-träum-vom-eigenen-Roman-Schreiberling“, das habe ich wohl bisher tief in mir geglaubt. Ich bin auch nichts besonders, nicht eine mit einer leidvollen oder aufregenden Geschichte. So habe ich wohl nichts zu erzählen (Ich las mal irgendwo den Rat, man solle über das schreiben, was man kennt.). Diese Gedanken irgendwo in mir haben mich gehemmt, bin ich mir sicher.
Aber nun ist es mir doch passiert – diese Leidenschaft. Denn ich habe hingeschaut – auf meine Leiden. Und da sind welche, natürlich. Sie sind da und sie sind meine, mein Unglück, meine Ängste, meine Scham, meine Schuld, meine Traurigkeit, meine Wut, meine Fehler. Als ich mich traute, das alles zu sehen, mal etwas genauer in den Blick zu nehmen, zu spüren, dass es wirklich da ist, konnte ich schreiben. Ich schrieb einfach so drauflos. Und was herauskam gefiel mir. Leiden schafft.
Aber auch Glück schafft. Da bin ich sicher. Nur glaube ich, muss ich beides im Blick haben, damit ich meiner Leidenschaft – dem Schreiben – nachgehen kann. Eine Freundin von mir setzt sich schon länger mit dem Thema „Schreibliebe“ auseinander und fragt sich, warum andere das Schreiben lieben. Meine Antwort:
„Weil das Schreiben das Beste und das Schlechteste an mir zeigt, weil das Schreiben das alles hervorbringen kann, weil es mein Spiegel ist und weil alles bei mir doch zum Schreiben führt. Und dafür bin ich dankbar. Denn ich weiß nun endlich und endgültig, dass das Schreiben zu mir gehört und meine Leidenschaft ist.“
Warum ich das erst jetzt wirklich weiß? Weil ich mich immer gefragt habe, warum ich denn trotz aller Liebe zum Schreiben, keinen Roman verfasse, warum ich nicht meine Gedichte zeige, warum ich nicht ständig und überall Notizen mache zu all meinen tollen Schreibideen, warum ich mich nicht gemäß den Ratgebern verhalte und extra früh aufstehe, um zu schreiben, warum ich kein tägliches Schreibpensum schaffe. Doch das ist nicht mein Schreiben. Meine Schreibwelt ist meine Oase, mein Ruhepunkt, mein Raum für mich. Schreiben hilft mir und dann kommen die Geschichten. Und irgendwann liest sie vielleicht auch jemand 🙂
Noch etwas: So viel wird gerade darüber geschrieben, dass wir einfach SEIN sollen, dass wir das Leben mehr annehmen sollen mit seinen Höhen und Tiefen und dass man vor allem sich so akzeptieren und lieben soll, wie man ist, mit den Fehlern, den Ängsten und der Wut, dass man die Momente betrachten soll und dann zu sich sagt: „Ja, so bin ich eben. Das gehört zu mir.“ Sich anderen auch noch so zeigen, wie man wirklich ist. Und das man alles im Leben auch genießen soll und das Wunder bewusst erleben und und und
Und rational verstehe ich das, ich lese so viel dazu und nicke eifrig und denke „Ja natürlich.“ und „Ist doch einfach.“ Ist es aber nicht. Es ist eben nicht einfach, sich selbst zu lieben, sich voll und ganz anzunehmen, zu verstehen, wer man ist und immer die Wunder da draußen zu bemerken und für alles dankbar zu sein und jedes kleine Glück zu würdigen. Es ist nicht einfach.
Aber man kann es versuchen. Ich mache mich auf den Weg zu einem Leben mit mir und Erfüllung und Glück. Und es wird ein langer Weg.